Verdun April 2018

Genug gekriegt

Mahnende Exkursion des AkR zu den Schlacht und Gräberfeldern von Verdun (1916 – 1918) am 21. / 22. April 2018

Prominenter Mitreisender bei der diesjährigen Verdunexkursion war der Historiker Prof. em. Dr. Gerd Krumeich, der Experte für die Geschichte des Ersten Weltkrieges ist und 2016 zusammen mit dem Französischen Forscher Antoine Prost ein Buch über die Schlacht von Verdun geschrieben hat. Wir vom Arbeitskreis Regionalgeschichte freuten uns, bei unserer mittlerweile zweiten Reise nach Verdun wieder Ingrid Ferrand, die seit über 30 Jahren durch die Kriegsschauplätze führt, dabei gehabt haben zu können. Während der Fahrt referierte Herr Krumeich über regionale historische Besonderheiten der Gebiete, die wir durchfuhren. Auf Verdun bezogen betonte er die herausragende Bedeutung der Schlacht von 1916. Auf deutscher und französischer Seite seien jeweils ungefähr 150.000 Soldaten umgekommen. Obwohl an der Somme 1916 noch mehr Soldaten gefallen seien, habe Verdun eine besondere Stellung in der französischen Erinnerungskultur des Ersten Weltkriegs, da 80 Prozent der französischen Soldaten während des Grande Guerre einmal in Verdun eingesetzt wurden. Außerdem sei das Schlachtfeld in Verdun im Gegensatz zur Somme nicht aufgeräumt worden. Deshalb könne dort heute der interessierte Besucher einen guten Eindruck von der Kombination aus archaischem Nahkampf und Fernbeschuss gewinnen, die das Kampferleben der Soldaten dominiert habe.
Das Exkursionserleben der rund 40 Mitreisenden aus Weil und Freiburg schwankte zwischen gemeinschaftlicher Lust am Reisen und ergriffener Bedrücktheit beim Anblick der Orte des Grauens. Nach etwa fünfeinhalbstündiger Fahrt erreichten wir am Samstagmittag planmäßig das Office de Tourisme in Verdun, dort stieß Ingrid Ferrand hinzu, die unser Expertenduo ergänzte. Unsere erste Station in Verdun sollte das Fort Faux sein. Auf dem Weg dorthin passierten wir mit dem Bus die vois sacrée. Diese Straße wurde während der Schlacht von Verdun zur Sicherstellung des Nachschubs genutzt. Täglich fuhren teilweise bis zu 9000 LKW die Straße entlang. Heute findet man entlang der Straße auf
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jedem Kilometer ein Denkmal. Außerdem sahen wir auf dem Weg die vois de la liberté, das Denkmal für André Maginot, der 1914 in Verdun verwundet wurde und später verschiedene Ministerposten in Frankreich bekleidete, sowie das Denkmal des sterbenden Löwen zur Erinnerung an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Bereits auf der Fahrt konnten die Mitreisenden die topographischen Veränderungen der Landschaft durch den Krieg beobachten. Wo ehemals flache Landschaften waren finden sich heute über 100 Jahre nach den Kampfhandlungen noch tiefe Granattrichter, die von dem Dauerfeuer der Artillerie 1916 zeugen.
Das Fort Faux war eines von 18 Forts der Gegend, die so angeordnet waren, dass sie sich gegenseitig flankieren konnten. Durch die strategische Lage auf der Anhöhe mussten die deutschen Soldaten die Forts einnehmen, um unbeschadet durch das Tal marschieren zu können.
Gerd Krumeich erklärte, warum die deutsche Offensive 1916 ausgerechnet in Verdun stattfand. 1920 habe Falkenhayn eine Denkschrift an die Oberste Heeresleitung (OHL) aus dem Jahr 1915 veröffentlicht. Dort habe er vorgeschlagen Verdun anzugreifen, um die Franzosen „ausbluten“ zu lassen. Dahinter habe die Annahme gestanden, dass die französische militärische Führung alle verfügbaren Truppen zur Verteidigung Verduns einsetzen würde. Daraufhin habe die deutsche Wissenschaft und Gesellschaft dieses Narrativ axiomatisch angenommen. Jedoch handle es sich bei der Denkschrift, so Krumeich, um eine Fälschung. Falkenhayn habe so versucht seine Rolle für die Entscheidung Verdun zu legitimieren. Die französische Militärführung wäre zuerst bereit gewesen Verdun 1916 zu opfern. Die vehemente Verteidigung der Stadt sei Resultat der politischen Entscheidung gewesen, ein Signal im Kampf gegen die Deutschen zu setzen und dafür weitere Soldaten anzuwerben. Diese Entscheidung habe Falkenhayn 1915 nicht antizipieren können. Die französische Mystifizierung Verduns sei erst ein Resultat der Kampfhandlungen von 1916 gewesen. Der tatsächliche Grund für den Angriff auf Verdun sei ein strategischer gewesen. Denn wollten die deutschen Truppen weiter Richtung Paris vorrücken, so mussten sie mit Flankenangriffen aus den Anhöhen von Verdun rechnen.
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Mit dem Bus ging es dann weiter Richtung Beinhaus. Nach dem Weltkrieg sammelte Ginisty, der Bischof von Verdun, Geld, um den Verstorbenen eine gebührende Ruhestätte zu erbauen. Das Gebäude ist einem Schwertgriff nachempfunden. Krumeich setzte sich vehement für eine Denkschrift ein, die sowohl deutschen als auch französischen gefallene Soldaten ehrt. 2016 wurde diese feierlich von Merkel und Holland eingeweiht. Verwandte können im Inneren des Gebäudes die Namen von Soldaten anbringen lassen, die in Verdun gefallen sind. Frau Ferrand erklärte uns, dass es auch heute noch möglich sei Namen eingravieren zu lassen, insofern man die notwendigen Nachweise erbringe. Bisher findet sich nur der Name von einem deutschen Soldaten an den Mauern des Denkmals. Im Keller des Gebäudes hatte die Reisegruppe das Privileg, einen Film über den chronologischen Ablauf der Schlacht 1916 und den Bau sowie die Einweihung des Beinhauses mit zahlreichen zeitgenössischen Originalaufnahmen zu sehen.
Als nächste Station besuchten wir die Anhöhe, auf der sich während des Ersten Weltkrieges das Dorf Vauquois befand. Eine Seite des Hügels wurde von den deutschen Soldaten besetzt und die andere von den französischen. Um die andere Kriegspartei entscheidend zu schwächen, gruben französische und deutsche Einheiten unterirdische Tunnel, die sie mit Sprengladungen versahen. Die Franzosen gruben 9 Kilometer reichende Tunnel und die Deutschen hoben sogar ein Tunnelsystem aus, das 17 Kilometer umfasste. Im deutschen Tunnelsystem lebten 1916 bis zu 1700 Soldaten permanent unter der Erde. Diese Patt-Situation steht symbolisch für das Dilemma des Stellungskrieges. Dort kann der Besucher sich in die außergewöhnliche Situation der Mienenarbeiter hineinversetzen, die pro Stunde einen Meter Tunnel ausgraben mussten.
Am zweiten Exkursionstag stand nach dem Frühstück eine Stadtrundfahrt auf dem Programm. Vom Bus aus besichtigten wir das monument de l’enfant de verdun, das Löwentor und ein Denkmal für die Frauen im Ersten Weltkrieg. Wir besuchten die Kathedrale von Verdun, die während des Krieges teilweise zerstört wurde, da die Deutschen mit Artillerie die naheliegende Zitadelle beschossen. An den Säulen im Inneren der Kathedrale finden sich in Stein gemeißelte Abbildungen von Szenen aus dem Ersten Weltkrieg. Da unter anderem die Exekution eines französischen Deserteurs zu finden ist, wurde die Arbeit mehrmals von Nationalisten zerstört. Daraufhin konnten wir einen kurzen Blick auf den Hof des Bischofspalasts werfen.
Gegen 10 Uhr erreichten wir dann das Museum über die Schlacht von Verdun. Heute symbolisiert das Museum die Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen und ist Teil einer gemeinsamen Erinnerungskultur an den Ersten Weltkrieg. Die Exponate des Museums sind sehr vielseitig. Es finden sich Geschütze, Gewehre, medizinische Gegenstände, Filme aus dem Zeitraum zwischen 1916 und den 1930er Jahren, Alltagsgegenstände und Orden. Ein Großteil der Ausstellungsstücke wurde von Soldaten oder Angehörigen dem Museum gespendet oder auf den Schlachtfeldern gefunden. Drei Punkte haben mir am Mémorial besonders gut gefallen: Erstens, die Erklärfilme waren knappgehalten, gut visualisiert und didaktisch reduziert. Zweitens, es gab ein 3D-Modell bzw. Karte von Verdun, auf das mithilfe von drei Beamern Frontentwicklungen und Versorgungswege dargestellt wurden. Drittens, neben den klassischen Bereichen des Kriegsgeräts, des Schlachtverlaufs, der Vor- und Nachgeschichte sowie Befehlsstrukturen wurden auch alltägliche Aspekte des Lebens der Soldaten in Verdun dargestellt. Hierbei kamen Zeugnisse und Berichte von Soldaten auf unterschiedlichstem Wege zum Einsatz.
Nach dem Museum besuchten wir eines der villages morts pour la France, das Dorf Fleury. Die villages morts pour la France sind Dörfer, die nach dem Weltkrieg nicht wiedererrichtet wurden, sondern als Denkmal an den Krieg dienen sollen. Als besondere Ehre gilt es in Frankreich Bürgermeister eines solchen Dorfes zu sein.
Ingrid Ferrand erklärte, dass noch heute Kriegsmaterial auf den Feldern von Verdun gefunden werden kann. Einige „Hobby-Archäolo-gen“ folgen mittels Metalldetektoren dem illegalen und gefährlichen Unternehmen alte Kriegsgerätschaften auszugraben. Bis heute werden auch noch sterbliche Überreste von Soldaten gefunden.
Für die Mitreisenden war die Reise neben Eindruck auch Mahnung. Krieg abzulehnen, hier und überall.

Samuel Foltz, Simon Straub, Wolfgang Weismann